• Linguistische Treffen in Wrocław •

ISSN: 2084-3062 • e-ISSN: 2657-5647 • DOI: 10.23817/lingtreff • Absprungrate: 36% (2024)

Vokale im Kiezdeutschen: Eine phonetische Analyse der Vokalquantität und -qualität / Vowels in Kiezdeutsch: A Phonetic Analysis of Vowel Quantity and Quality)

Susanne Rummel, Universität Potsdam (ORCID: 0000-0002-3698-4449)
Katharina Nimz, Universität Osnabrück (ORCID: 0000-0002-6100-2881 )
Stefanie Jannedy, Leibniz-Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft (ORCID: 0000-0001-5449-3312)

DOI: 10.23817/lingtreff.20-26 (online zugänglich: 2021-12-09)

S. 365–385

Schlüsselwörter: Kiezdeutsch, Multiethnolekt, Vokalqualität, Vokalquantität, Phonetik, Deutsch

Kiezdeutsch ist eine Varietät des Deutschen, die sich in urbanen Regionen Deutschlands in überwiegend multiethnischen und multilingualen Stadtvierteln entwickelt hat (Wiese 2009: 782). Dieser deutsche Multiethnolekt, wie Kiezdeutsch auch bezeichnet wird, zeichnet sich morphosyntaktisch z. B. durch die Nutzung bloßer Nominalphrasen für bestimmte Lokalangaben (Wiese/Pohle 2016) oder durch die Bildung neuer Funktionsverbgefüge (Wiese 2006, 2009) aus. Er wurde auf dieser grammatischen Ebene auch hinsichtlich der begleitenden ethnographischen Umstände schon umfangreich beschrieben (vgl. Kallmeyer/Keim 2003a, 2003b; Dirim/Auer 2004; Keim 2004, 2008; Keim/Knöbl 2007, Paul et al. 2010, Freywald et al. 2011, Hinrichs 2013). Im Gegensatz dazu ist die Phonetik des Kiezdeutschen trotz einer Vielzahl charakteristischer Merkmale noch kaum systematisch untersucht worden. Ausnahmen bilden Arbeiten zu der Realisierung des palatalen Frikativs [ç] und des Diphthongs [ɔʏ] im Kiezdeutschen in Berlin (Jannedy/Weirich 2013, 2014a, 2014b, 2014c, 2017, 2019, 2020). Hier knüpft die vorliegende Pilotstudie an, in deren Mittelpunkt die Vokalquantität und -qualität des Kiezdeutschen im Vergleich zu einer standardnahen Varietät stehen. Die auf auditiven Eindrücken basierenden Hypothesen aus vorherigen Arbeiten (vgl. z. B. Auer, 2003; Tekin & Colliander, 2010) sind, dass lange Vokale im Kiezdeutschen sowohl kürzer als auch zentralisierter produziert werden als im Standarddeutschen. Diese Hypothesen wurden hier anhand von Interviewdaten einer Stichprobe männlicher Sprecher für die Vokale [iː], [eː] und [aː] instrumentalphonetisch überprüft. Durch die akustische und statistische Analyse der Vokalqualitäten ließen sich keine signifikanten Unterschiede feststellen. Jedoch zeichnete sich bei den Vokalen [eː] und [aː] der Kiezdeutschsprecher eine leichte Tendenz ab, dass sie diese weiter hinten produzieren als die standardnahen Sprecher. Die Analyse der Vokaldauer der untersuchten Vokale [iː], [eː] und [aː] zeigte, dass männliche Kiezdeutschsprecher alle untersuchten Vokale im Schnitt kürzer artikulieren als die standardnahen männlichen Sprecher. Die Vokalquantität scheint damit bei der Unterscheidung der beiden Varietäten des Deutschen eine größere Rolle zu spielen als die Vokalqualität.

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