• Linguistische Treffen in Wrocław •

ISSN: 2084-3062 • e-ISSN: 2657-5647 • DOI: 10.23817/lingtreff • Absprungrate: 35% (2023)

„Die Bäume wachsen nicht in den Himmel“ – Überlieferung, Verwendung und Bedeutung eines Sprichwortes / „The Trees Don’t Grow to the Sky“ – Transmission, Use, and Meaning of a Proverb

Wolfgang Mieder, Universität von Vermont (ORCID: 0000-0002-4002-5304)

DOI: 10.23817/lingtreff.21-10 (online zugänglich: 2022-07-06)

S. 165–203

Schlüsselwörter: Antisprichwort, Geschichte, Leitmotiv, Literatur, Parömiographie, Politik, Polysituativität, Polyfunktionalität, Polysemantizität, Sprichwort, Variante

Das deutsche Sprichwort “Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen“ mit seiner gekürzten Variante „Die Bäume wachsen nicht in den Himmel“ ist seit dem frühen sechzehnten Jahrhundert überliefert. Seine schriftliche Dokumentation beginnt 1526 mit Martin Luther, und es tritt seit 1590 in zahlreichen Varianten in Sprichwörtersammlungen auf. Goethe zitierte es in seiner Autobiographie, und es erscheint in den Werken von Heinrich Heine, Joseph von Eichendorff, Georg Herwegh, Gottfried Keller, Theodor Fontane, Wilhelm Raabe, Hermann Hesse, Alfred Andersch und anderen. Max Weber und Rosa Luxemburg haben es sozialpolitisch benutzt, und das gilt auch für Winston S. Churchill, der dazu beigetragen hat, es in der englischen Übersetzung „Care is taken that trees don’t grow to the sky“ und „Trees don’t grow to the sky“ zu verbreiten. Joseph Goebbels hat es als propagandistisches Leitmotiv wiederholt zitiert, und es spielt auch in politischen Kontexten bei den Bundeskanzlern Conrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Schmidt eine Rolle. Besonders Aphoristiker wie Dietmar Beetz, Erwin Chargaff, Peter Maiwald. Felix Renner und Gerhard Uhlenbruck haben sich kritisch mit dem Sprichwort auseinandergesetzt und es zu Antisprichwörtern verändert. Anhand von vielen kontextualisierten Belegen wird gezeigt, wie sich das Sprichwort über fünf Jahrhunderte hinweg entwickelt hat und bis heute durch seine Polysituativität, Polyfunktionalität und Polysemantizität geprägt ist.

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