Pragmatik und Recht: Kriminelle Sprechakte / Pragmatics and Law: Criminal Speech Acts)
DOI: 10.23817/lingtreff.21-9 (online zugänglich: 2022-07-06)
S. 143–163
Schlüsselwörter: Bullshitten, krimineller Sprechakt, konversationelle Implikatur, Beleidigung, Lügen, Meineid
Pragmatik und Recht ist ein wichtiges Teilgebiet der theoretischen und praktischen (oder „angewandten“) Pragmatik. In diesem Artikel geht es um kriminelle Sprechakte. Darunter sind solche sprachlichen Handlungen zu verstehen, für die man in einem gegebenen Rechtssystem bestraft werden kann. Kriminelle Sprechakte bilden keine eigene Sprechaktklasse wie Assertive oder Expressive, sondern kommen in allen Klassen vor. Sie können sowohl direkt, als auch indirekt realisiert werden. Bei der indirekten Realisierung handelt es sich um indirekte Sprechakte im Sinne der Sprechakttheorie oder um konversationelle Implikaturen im Sinne der Theorie der konversationellen Implikaturen. Zwei Themenkomplexe werden näher betrachtet. Erstens geht um das Gebiet des Lügens, wobei Lügen als eine unaufrichtige Assertion mit dem Ziel der Täuschung betrachtet wird. Das Gesetz kennt einen eigenen Straftatbestand des Lügens nicht. Dennoch können Lügen in bestimmten Kontexten bestraft werden. Ein einschlägiger Fall ist das Lügen vor Gericht unter Eid (Meineid). Das Bullshitten unterscheidet sich vom Lügen darin, dass der Bullshitter indifferent gegenüber der Wahrheit ist. Bullshitten erscheint also als eine praktische Option, sich nicht auf einen Sachverhalt festzulegen. Darüber hinaus wird gefragt, ob Lügen durch die Realisierung einer täuschenden konversationellen Implikatur möglich ist. Der zweite Themenkomplex ist das Feld von Beleidigung und Hassrede. Bei Beleidigungen ist auffällig, dass es in jeder Sprache lexikalische Ausdrücke gibt (Beleidigungswörter), die dem Ziel der Realisierung einer Beleidigung dienen. Es sind illokutionäre Indikatoren im Sinne der Sprechakttheorie. Hassrede, wozu auch die Verunglimpfung bestimmter Gruppen im Sinne der Volksverhetzung gehört, wird als eine Art der Beleidigung aufgefasst. Dies bedeutet, dass Hassrede prinzipiell durch die Regeln für die Ausführung einer Beleidigung erfassbar ist. Die juristische Beurteilung krimineller Sprechakte stützt sich einerseits auf konkrete Äußerungen, andererseits auf eine Beurteilung des Äußerungskontexts. Es zeigt sich, dass es in der Beurteilung krimineller Sprechakte zu erheblichen Differenzen kommen kann, was mit der inhärenten Komplexität dieser Konzepte zu tun hat.